Nebenjob beim Kindesunterhalt: Wann besteht eine Pflicht zur Nebentätigkeit?
Muss ein unterhaltspflichtiger Elternteil einen Nebenjob beim Kindesunterhalt aufnehmen, wenn das Einkommen nicht ausreicht, um den Mindestunterhalt zu bezahlen?
Mit dieser Frage beschäftigte sich vor kurzem der BGH (Beschluss vom 20.11.2024 – XII ZB 78/24, FamRZ 2025, 442).
Ausgangspunkt: Einkommen aus Vollzeittätigkeit reicht nicht für Mindestunterhalt
Eine aus der Ukraine stammende unterhaltspflichtige Mutter wurde von ihren beiden minderjährigen Kindern, vertreten durch den Kindsvater, auf Leistung des Mindestunterhalts in Anspruch genommen. Allerdings reichten die Einkünfte der Kindsmutter aus einer vollschichtigen Erwerbstätigkeit als Steuerfachgehilfin nicht aus, um den vollen Mindestunterhalt unter Warnung ihres notwendigen Selbstbehalt zu erbringen.
Rechtlicher Maßstab: Gesteigerte Erwerbsobliegenheit nach § 1603 Abs. 2 BGB
Ist ein in Vollzeit tätiger Elternteil nicht in der Lage, aus seinem Einkommen den Mindestunterhalt iSd § 1612a Abs. 1 S. 1 und 2 BGB für seine minderjährigen Kinder zu leisten, ist regelmäßig zu prüfen, ob ihm zusätzlich die Aufnahme einer Nebentätigkeit zugemutet werden kann. Eine solche gesteigerte Erwerbsobliegenheit ergibt sich grundsätzlich aus § 1603 Abs. 2 S. 1 und 2 BGB.
Einzelfallentscheidung: BGH erkennt keine Obliegenheit zum Nebenjob beim Kindesunterhalt
Im vorliegenden Fall hat die unterhaltspflichtige Mutter sich darauf berufen, dass ihr eine Nebentätigkeit u.a. deshalb nicht möglich sei, weil ihr Arbeitgeber eine solche untersagt habe.
Der BGH bestätigte in seiner Entscheidung die Ausführungen des OLGs und führe aus, dass die Obliegenheit zur Aufnahme eines Nebenjobs beim Kindesunterhalt in diesem konkreten Fall nicht besteht.
Seine Entscheidung begründete der BGH damit, dass es der Kindsmutter angesichts ihrer konterten Umstände – insbesondere als Berufsanfängerin sowie der noch nicht vollständig beherrschten deutschen Sprache – nicht zuzumuten sei, arbeitsrechtlich gegen das Verbot vorzugehen oder eine andere Arbeitsstelle zu suchen, bei der eine Nebentätigkeit erlaubt wäre.
Rechtsprechung uneinheitlich: Unterschiedliche Auffassungen der Oberlandesgerichte
Die Frage, ob die Untersagung einer Nebentätigkeit durch den Arbeitsleber unterhaltsrechtlich beachtlich ist, wird in der obergerichtlichen Rechtsprechung unterschiedlich beurteilt:
- Das OLG Koblenz hält ein solches Verbot für unbeachtlich und verlangt, dass der Arbeitnehmer dagegen vergent, sofern keine berechtigten Interessen (vgl. OLG Koblenz, FamRZ 2020, 1034, 1036).
- Das OLG Brandenburg differenziert: Eine pauschale Untersagung sei unzulässig. Die Versagung darf sich nur auf eine bestimmte Nebentätigkeit beziehen.
Verfassungsrechtlicher Hintergrund: Berufsfreiheit nach Art. 12 GG
Gestützt wird die Kritik an generellen Verboten unter anderen auf eine Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (BAG), wonach ein pauschales Verbot der Nebentätigkeit einen Eingriff in die durch Art. 12 GG geschützte Berufsfreiheit darstellt.
Unterhaltsrechtlich wird verlangt, dass der Verpflichtete nachvollziehbar darlegt, warum eine Nebentätigkeit nicht möglich ist. Dazu gehört insbesondere, die Gründe für die Versagung der Genehmigung durch den Arbeitgeber offenzulegen und ggf eine Genehmigung zu beantragen.
Ob auch eine gerichtliche Klärung verlangt werden kann, hängt vom Einzelfall ab – insbesondere davon, ob durch eine solche Maßnahme das Arbeitsverhältnis nachhaltig gestört wird. Das letztere dürfte bei kleineren Betrieben mit wenigen Beschäftigten der Fall sein.
Mein Fazit als Fachanwältin für Familienrecht
Die Entscheidung des BGB zeigt einmal mehr, dass die gesteigerte Erwerbsobliegenheit nach § 1603 Abs. 2 BGB kein Automatismus ist. Auch bei Nichterreichen des Mindestunterhalts durch eine Vollzeittätigkeit kommt es maßgeblich auf die Zumutbarkeit weiterer Erwerbsbemühungen an.
Für die Praxis bedeutet das: Unterhaltspflichtige dürfen nicht pauschal mit dem Verweis auf Nebenjob beim Kindesunterhalt belastet werden. Umgekehrt müssen sie darlegen, warum eine Nebentätigkeit nicht möglich oder nicht zumutbar ist.
Die Entscheidung stärkt die Einzelfallgerechtigkeit – fordert aber zugleich eine sorgfältige anwaltliche Aufbereitung und Argumentation im Unterhaltsverfahren.
Weitere Informationen zum Kindesunterhalt finden Sie hier.